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"Verschollende Feste", Eröffnungsrede zur Klanginstallation von Hans Wesker,  in der Jakobi Kirche in Hamburg, im Rahmen der 23. Evangelischen Kirchbautagung
R.K. Petrick, Verschollene Feste

Am Anfang ist nur ein fernes Rauschen, von allen Seiten kommend und alles durchdringend, fein und doch gut vernehmbar für ein menschliches Ohr - wenn es ein solches gegeben hätte. Dieser Klang, der durch die unendlichen Weiten des Weltalls zog vor aller messbaren Zeit. Geräusche der Sphären, die sich nach und nach oder in plötzlicher Dehnung zu Körpern und Kugeln verdichten - eine davon die Erde, über der sich ein nachtblauer Himmel wölbt.

 

Mit einem Mal unterbricht ein einzelner Ton dieses Rauschen: Ton, gebildet wie ein Tropfen, der auf feste Materie fällt und dort zerbirst. Wieder und wieder. Die Töne, die Tropfen sammeln sich unten zu einer Wasserfläche und bedeuten den Anfang des Lebens.

 

Tropfen für Tropfen fällt herab aus dem Nebel der Sphärenklänge und setzt den Beginn der Zeit. Schließlich mischt sich eine weitere Farbe in die Symphonie: tief und rau wie von missgestimmten Widderhörnern. Ein Etwas, das nicht aus dem Meer des Raumes herüberweht, sondern von lebendem Mund geformt. Da meldet sich einer, der all die Tropfen und Töne und Klänge in Besitz und Verwaltung nehmen will, der mit Stimme und Hand ergreifen und benennen will, der ungefüges Rauschen mit tiefem Glockenton durchpflügt und zu sich her ruft, zu ihm, dem Zentrum seiner Welt.

 

Zu solcher Phantasie einer Kosmogonie, einer Weltentstehung fühlte ich mich beim Hören der Klanginstallation von Hans Wesker angeregt. Denn vielleicht war am Anfang ja wirklich nur das feine Rauschen des Weltalls, das heutige Astronomen mit ihren elektronischen Geräten einfangen und hörbar machen können; war da ein akustisches Meer, das darauf wartete, sich zu Form und Farbton zu verändern.

 

Schon die synästhetische Wortverbindung Farbton zeigt, dass sinnliche Wahrnehmung kaum teilbar ist. Dass die Welt im Grunde aus Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten besteht. Ich bin überzeugt, dass Hans Wesker von solcher Weltsicht ausgeht und dies in seiner Kunst erlebbar machen will. Verschollene Feste- so nennt er seine Installation. Das mag sich zunächst auf die Begegnungen beziehen, die sich in dieser Kirche ereignet haben - im Laufe der Jahrhunderte. Aber die Grundsubstanz auch dieser Kirche ist ja viel älter - der Sand, der Stein, aus dem sie gefügt, hat sich irgendwann aus dem Rauschen des Urnebels zusammengeballt.

 

Kunst, die es ernst meint, hat eine detektivische Funktion: Sie versucht, hinter die Dinge zu schauen und herauszufinden, was die Welt im Innersten zusammenhält, dem Beginn alles Seienden auf die Spur zu kommen.

 

Das Wort verschollen regt zum Widerspruch an. Denn alles, was war, hatte einen Sinn, der auch für die Jetztzeit noch bedeutsam sein könnte. Auf dieser Spur, das vermeintlich Verschollene ans Licht zu holen, befindet sich Hans Wesker mit seiner Raum- und Klanginstallation.

Das optische Zentrum der Arbeit ist ein rechteckiger Kasten, aus gelben Steinen zusammengesetzt, mit schwarzem Boden, oben offen, mit Wasser darin. Eine Zisterne gewiss von ihrer Bestimmung her, bereit, Wasser des Himmels aufzufangen, es zu sammeln, um Leben möglich zu machen und zu erhalten.

 

Über die Länge des Kirchenschiffes verteilt, zehn Röhren in dunklem Blau, aus dem Himmelsgewölbe hängend, kommunizierend zwischen oben und unten; die das Wasser und die Klänge des Himmels auf die Erde leiten.

 

Ein rechteckiger, länglicher Kasten - noch eine andere Assoziation lässt sich nicht abweisen. Auch ein Sarkophag könnte es sein, der das Gelebte in sich aufnimmt, in dessen Schutz Materie wieder zerfällt und Erde zur Erde wird. So ist das eine nicht ohne das andere. Bald nach der Schöpfung spricht Gott sein bestimmendes Wort: Aus Staub bist du geworden, zu Staub sollst du werden. Der Tod ist ständiger Begleiter, Freund und Fluchtpunkt zuweilen. Alles fließt, und alles kehrt zu dem Anfang zurück, wo es seinen Weg begonnen. Wie das Wasser, das lebenspendend die Erde durchfeuchtet, von der Sonne aufgesogen und wieder in den Himmel aufgenommen wird. Die zehn blauen Röhren der Installation sind keine Einbahnstraßen, sondern machen die Richtung auch von unten nach oben möglich.

 

Was die Ausstellung von Hans Wesker für mich besonders auszeichnet, ist ihre räumlich-formale, aber auch akustische Begrenzung. Letztlich kann man Welt und Leben auf bestimmte Urfarben, -töne und -formen zurückführen, aus denen sich die Vielfalt des Seienden entwickelt. Kunst muss nicht den Anspruch haben, stets diese Vielfalt zu zeigen, sondern gerade in der Beschränkung auf das Urtümliche zeigt sich die Kunst.

 

Optischer Gegenpol zur länglich-rechteckigen Zisterne ist ein Quadrat, aus dem Gewölbe hängend, ein Leuchtkasten, der gewissermaßen die Grundelemente vervollkommnet. Auf der Vorderseite Farbübergänge von Gelb zu Orange, feurig und lebensvoll, auf der Rückseite eine Mischung von Gelb und dunklem Blau.

 

So sind sie in der Ausstellung und im Kirchenraum versammelt: die Zeichen für Feuer, Luft, Wasser und - Erde, aus der die Steine, die Mauern, die Zisterne bestehen. Mag sein, dass der Leuchtkasten auch als Fanal des Menschen da hängt, des homo faber, der die Dunkelheit des Urgrundes besiegt zu haben scheint und mit künstlichem Licht die Welt durchhellt.

 

Es kann auch sein, dass der Leuchtkasten mit seiner gegensätzlichen Farbkomposition für den Vorder- und für den Hintergrund der Dinge und alles Seienden steht. Orange-Gelb - die Farbe des Lebens an sich, wie es für uns mit den Augen wahrnehmbar ist; Blau, die Farbe der Tiefe, des Inneren, die Farbe der Introvertierten wie der Dichter Gottfried Benn es ausdrückt. Die Farbe, die sich vor uns und in uns ausbreitet, wenn wir die Augen schließen.

 

Die Klang- und Rauminstallation von Hans Wesker ist so grundlegend, dass sie nicht nur und nicht unbedingt in einer Kirche ihren Platz haben müsste. Aber sie ist auch in einer Kirche gut aufgehoben und gerät mit ihr in einen lebendigen Dialog. Wer in das Wasser der Zisterne schaut, kann in seinem Spiegel die Rosetten der Kirchenfenster entdecken. Oder sein eigenes Gesicht. Wie der erste Mensch im Paradies Gottes, der in den Spiegel eines Sees schaute und zum ersten Mal erkannte, dass er anders war als die ihn umgebenden Dinge und Tiere, anders als der Baum neben ihm, als der Apfel, den er abpflückte. Und so lernte dieser Mensch, Ich zu sagen und Ich zu tun.

Ein Wasserbehälter in der Kirche lässt gewiss auch an das Taufbecken denken, in dem die Ursünde des Menschen abgewaschen wird. Diese Ursünde ist in seinem Spiegel deutlich: die Ich-Bezogenheit, die vom Urgrund, von Gott abzieht. Und so sieht der Täufling im Spiegel des Taufbeckens sein Bild, sein Ich, das mit dem Wasserguss symbolisch zerstört wird. Theologisch ist das Taufbecken also das Grab des Ichs, und wer auf die ganze Wasserfläche der Zisterne blickt, der kann darin das Kirchengewölbe wie den Deckel eines Sarkophages wahrnehmen.

 

Was solche Interpretationen relativiert und womöglich in Frage stellt, sind die Wolken der Klänge, die alles durchdringen und durchwirken. Denn sie führen immer wieder zurück zum Anfang oder vor allem Anfang, als, wie es in der Bibel heißt, der Geist Gottes über den Wassern schwebte. In einem Raum, der zeitlos war, in einer Zeit, die noch keinen festen Raum kannte.

 

So bedingen optischer und akustischer Eindruck der Ausstellung sich stets gegenseitig und helfen dem Betrachter letztlich dazu, sich selbst auf die Spur zu kommen, seinem Woher und Wohin, seinem ständig wechselnden Standort, seinem Kreislauf zwischen Werden und Vergehen, zwischen Vergehen und Werden.

 

R. K. Petrick, Eröffnungsrede anlässlich der Ausstellung in der St. Jakobi Kirche in Hamburg (im Rahmen der 23. Evangelischen Kirchbautagung)

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